Die Puppenfee

Ort der Handlung:
Eine Spielwarenhandlung

Der Spielwarenhändler steht am Schreibpult
vor seinen Büchern. Zwei Commis reinigen
die Puppenkästen und die mechanischen Figuren. Ein Briefträger übergibt dem Chef ein Paket mit Briefen, einen davon erhält das alte Faktotum des Spielwarenhändlers.

Während der Chef die Post durchsieht,
erscheint eine Dienstmagd. Sie bringt eine Puppe zur Reparatur. Der Chef verspricht, sein möglichstes zu tun. Er findet an der Magd Gefallen. Sie versucht, sich seinen Lieb-kosungen zu entziehen. Dabei stößt sie beinahe
mit einem österreichischen Waldbauern zusammen, der gerade mit Weib und Kind
den Laden betritt. Alle drei bestaunen verwundert die vielen Dinge. Das kleine Mädchen berührt die verschiedenen Puppen, wird jedoch von seiner Mutter zurückgehalten. Dem Bauern scheint die Figur eines geharnischten Ritters am meisten zu imponieren. Bei einer Berührung gerät der Mechanismus der Figur in Bewegung und schlägt den Bauer zu Boden. Die Bäuerin und ihr Kind fliehen erschreckt und stoßen dabei an
einen Kasten, aus dem ein Springteufel emporfährt. Verwirrt flüchten sie auf die andere Seite. Der Chef und die Commis stellen die Bauersleute zur Rede.

Eine englische Familie, Eltern mit vier Kindern, betritt den Laden. Der Chef preist einige Puppen an. Zuerst wird die Figur eines Chinesen vorgeführt, aber der Mechanismus
der Puppe versagt. Der Chinese macht nur verrenkte Bewegungen und bricht dreimal hilflos zusammen. Der Spielwarenhändler gerät dadurch in große Verlegenheit, und der Engländer schickt sich an fort zu gehen. Die Angestellten bemühen sich, ihn zurückzuhalten. Man führt nun die Tirolerin vor, danach ein Bébé, das „Papa“ und „Mama“ spricht. Nach der Chinesin tritt ein Dienstmann mit einem Postkarton auf, in ihm verbirgt sich die Spanierin. Hierauf folgen die Japanerin, ein Ungar, schließlich die Gruppe Mohrin, Polichinello, Poet, Portier und Jockey. Befriedigt will die englische Familie das Lokal verlassen. Der Spielwarenhändler hält sie abermals zurück, um ihr das exquisiteste Stück seines Ladens, die Puppenfee, zu zeigen. Der Engländer erklärt nun energisch, dies Meisterstück um jeden Preis besitzen zu wollen. Der Chef verlangt eine hohe Summe, der Handel wird abgeschlossen. Die englische Familie verläßt den Laden, die Bauersleute,
die nichts gekauft haben, werden hinausexpediert. Der Spielwarenhändler freut sich im Abgehen über das Geschäft, der Commis verlöscht die Gasflammen.

Man hört es 12 Uhr Mitternacht schlagen. Beim letzten Schlag wird es im Puppenladen lebendig,
die Puppenfee erscheint, belebt sich und tritt aus dem Kasten. Auf ihr Zeichen kommen auch
die anderen Puppen hervor. Es wird plötzlich hell. Ein weiteres Zeichen der Puppenfee: die Bühne wird frei,
ein Ballabile beginnt mit dem Festmarsch sämtlicher mechanischer Figuren und Puppen. Die Feerie verschwindet wieder, alles verwandelt sich zurück in dem Puppenladen.


Da stürzt der Spielwarenhändler in Nachtkleidern herein. Er sieht sich um, ob alles Ordnung ist. War der Tumult, den er gehört hat, nur Täuschung? Der Chef bleibt in Gedanken versunken stehen...

Ein Tamtamschlag signalisiert die Apotheose
des Balletts.
Alle Puppen gruppieren sich einem riesigen Fächer.

 

Die Puppenfee
Entstehungsgeschichte




Es ist kaum zu glauben: „Die Puppenfee“, ein Werk, das man zu den erfolgreichsten Balletten der gesamten Geschichte des Tanzes zählen darf, verdankt seine Existenz einer Dame der Gesellschaft, die mit dem Tanz oder dem Ballett auch nicht das mindeste zu tun hatte. Die Dame, Fürstin Pauline Metternich, die Schwiegertochter des berühmten Staatsmannes, war mit ihrem Gatten Richard 1859 nach Paris gezogen und wurde dort als Ehefrau des österreichischen Botschafters einer der gesellschaftlichen Mittelpunkte am Hofe Napoleons III.

Angeregt durch ein Werk von Jules-Louis-Olivier Maitra, das die Fürstin in einem der Pariser Vaudevillehäuser in einer Choreographie von Mariquita gesehen hatte, veranstaltete Pauline Metternich in Paris 1867 ein Wohltätigkeitsfest, bei dem ein Puppenladen aufgebaut wurde und bei dem sich Mitglieder der Gesellschaft als Ladenbesitzer, Puppen und Käufer betätigten.

Mehr als zwanzig Jahre später organisierte die Fürstin, nun in Wien, ein Fest ähnlicher Art. Wieder als Wohltätigkeitsveranstaltung gedacht, sollte der Reinertrag des Festes den Opfern einer Überschwemmung in Ungarn und einer Feuersbrunst in Galizien zugute kommen. Das großangelegte Fest, für das Franz Jauner die Gesamtleitung übernommen hatte, sollte im Palais Liechtenstein in der Bankgasse über die Bühne des Hauses gehen.

Fürstin Paulin‘, wie die überaus beliebte Dame der Gesellschaft im Wiener Volksmund genannt wurde, engagierte einen eigenen Pressesprecher, um die nach Neuigkeiten lechzenden Schreiber der Zeitungen zu informieren. Nach einer schon vielbeachteten Generalprobe hatte das Wohltätigkeitsprogramm am 9. April 1888 Premiere.

Nach einer kurzen Komödie tanzten Mitglieder des Adels eine kleine Tanzfolge „Die vier Jahreszeiten“, die von Franz Gaul und Josef Bayer arrangiert worden war. „Zu wohltätigem Zwecke“ hieß eine Adaption von Meilhacs „Lolotte“. In dem Dreipersonenstück spielte und sang Pauline Metternich mit derartigem Talent, daß das „Wiener Salonblatt“ sie als „fürstliche Gallmeyer“ bezeichnete. Der Abend wurde mit der Pantomime in einem Aufzug „Im Puppenladen“ beschlossen.

Wie alle anderen Stücke, wurde auch die Pantomime ausschließlich von Mitgliedern des Adels dargestellt. Josef Hassreiter, zu dieser Zeit erster Solotänzer der Hofoper, hatte die Pantomime in etwa 14 Proben gestellt.


Die Musik stammte von Josef Bayer. Das Libretto wurde von Hassreiter gemeinsam mit der Fürstin erarbeitet. In einer Vorschau auf den Abend schreibt das „Wiener Salonblatt“: „Die Idee der reizenden Improvisation ist folgende: Fürstin Metternich erscheint als Inhaberin eines großen Puppenladens und versieht ihr Geschäft mit Geschick und Umsicht. Sie hält sich mehrere Commis zur Bedienung von Käufern und Käuferinnen. Der Puppenladen ist sehr geschmackvoll arrangiert, und ist in demselben Alles zu haben, was den Kleinen wie den Großen Freude bereitet; man findet Babys, Pierrots, Pierrettes, Harlequins, Puppen in allen Nationaltrachten, Affen, Polichinells, Soldaten, Marketenderinnen, kurz Alles, was nur ein reich sortierter Puppenladen enthalten kann. Und wie niedlich und reizend bewegen sich all diese Figürchen mit den Augen und Händen und Beinen. Natürlich amusieren sich die Kunden, die den hell erleuchteten Laden betreten, ganz vorzüglich. Nun wird es Abend; die in den Puppen befindlichen Uhrwerke werden zum Stillstand gebracht. Alles ist wieder leblos, der Laden wird gesperrt, die Frau Chefin und die Commis gehen nach Hause. Da schlägt es 12 Uhr Mitternacht. Im Laden erscheint die Puppenfee, belebt alle Puppen, es rumort fürchterlich, die Besitzerin wird geweckt, ebenso auch die Bediensteten, man öffnet den Laden, und im wilden Wirbel werden nun auch die Herrin des Ladens und die Commis von den Puppen, die lebendig geworden sind, mitgerissen, bis der neidische Vorhang dem Publikum das effektvolle Bild entzieht.“

Sowohl die Premiere der Wohltätigkeitsveranstaltung, wie auch die zwei Wiederholungen der Vorstellung am 10. und 12. April 1888 wurden glanzvolle gesellschaftliche Ereignisse. Der Kaiser selbst erschien zur ersten Vorstellung (die Kaiserin befand sich zu dieser Zeit mit ihrer Tochter Marie Valerie in London, wo sie, wie ausdrücklich betont wurde, in „völliger Zurückgezogenheit“ lebte); dazu Kronprinz Rudolf, drei Erzherzöge, der höchste Adel und das Diplomatische Corps.

 

 

            



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